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 CD     
  Hartmann, Christoph: Fantasia Italiana 
Opera Fantasies For Oboe And Orchestra By Antonio Pasculli.

Christoph Hartmann | OBOE / ENGLISCHHORN
Augsburger Philharmoniker
Rudolf Piehlmayer | DIRIGENT


Die Werke

Antonio Pasculli (1842 – 1924)
     1 Gran Concerto sopra motivi dell’opera I vespri siciliani
     GroĂźes Konzert ĂĽber Themen aus I vespri siciliani
     2 Concerto sul Trovatore
     Konzert ĂĽber den Troubadour
     (Bearbeitung fĂĽr Oboe und Orchester von Wolfgang Renz)
     3 Fantasia sull opera Poliuto
     Fantasie ĂĽber die Oper Poliuto
     4 Fantasia sull Ballo in maschera
     Fantasie ĂĽber den Maskenball
     (Bearbeitung fĂĽr Englischhorn und Orchester von Wolfgang Renz)
     5 Simpatici ricordi della Traviata
     Liebenswerte Erinnerungen an La Traviata
     (Bearbeitung fĂĽr Oboe und Orchester von Wolfgang Renz)
     6 Rimembranze del Rigoletto
     Erinnerungen an Rigoletto
     (Bearbeitung fĂĽr Oboe und Orchester von Wolfgang Renz)


Der Paganini der Oboe

„Wenn man die Technik beherrscht, fängt die Musik erst an“, sagt der Oboist Christoph Hartmann. „Virtuosität ist nicht Selbstzweck, sondern sie öffnet das Ohr.“ Klarer kann man es eigentlich gar nicht ausdrücken. Leider scheiden sich heute immer noch schnell die Geister, wenn die Vokabel „Virtuosität“ fällt. Viele verstehen darunter einen Instrumentalisten, der „nur“ auf technische Vollkommenheit setzt. Wer so denkt, vergisst, dass dieses Wort vom lateinischen „virtus“ abgeleitet ist, das unter anderem „Tugend“ bedeutet. Und ein Virtuose, ein „tugendhafter“ Musiker also, nutzt seine Fähigkeiten nicht, um sich selbst zirzensisch zur Schau zu stellen, sondern um den Hörer in nie geahnte musikalische Regionen zu entführen – und das ganzheitlich, also technisch, geistig und emotional. Die wahrhaft großen Virtuosen der Musikgeschichte beweisen dies bis heute.
Niccolò Paganini revolutionierte mit so neuen und aberwitzig schwierigen Techniken das Violinspiel, dass man glaubte, er stünde mit dem Teufel im Bund. Seinem Zeitgenossen Franz Liszt gelang Gleiches auf dem Klavier. Seltsamerweise scheint sich im heutigen Bewusstsein das Virtuosentum dieser Zeit auch auf diese beiden Instrumente – Violine und Klavier – zu beschränken. Ein Paganini des Fagotts zum Beispiel ist heute niemandem geläufig, ein Liszt der Posaune ebenso wenig. Dass das nichts heißt, beweist nun ein heutiger Virtuose der Oboe: Christoph Hartmann, Mitglied der Berliner Philharmoniker, hat für sein Instrument einen Meister vom Paganini-Liszt-Format entdeckt: den Sizilianer Antonio Pasculli.
Das Nachschlagen selbst in neuesten musikwissenschaftlichen Lexika erweist sich als sinnlos; Pasculli ist nirgends verzeichnet. Das einzige, was von seinem Wirken geblieben ist, sind seine Kompositionen – darunter einige Etüden, deren Bekanntheit über Oboistenkreise nicht hinausreicht – und ein knapper biografischer Abriss, der von den beiden Töchtern des Komponisten stammt. Ihm entnehmen wir, dass Pasculli am 13. Oktober 1842 in Palermo zur Welt kam, mit 14 Jahren als Oboenwunderkind Italien, Deutschland und Österreich bereiste und schon mit 18 Professor am Konservatorium seiner Heimatstadt wurde. Bis 1913 sollte er hier Oboe und deren tiefere, etwas rauer klingende „große Schwester“, das Englischhorn unterrichten. Mit 42 Jahren geriet Pasculli in gesundheitliche Schwierigkeiten, deren genaue Hintergründe unbekannt geblieben sind. Die Ärzte warnten: Sollte er weiter als Virtuose auftreten, drohe Blindheit. So gab er seine Solistenkarriere auf, heiratete und konnte sich an einer großen Familie erfreuen. Von seinen fünf Kindern studierten zwei Mädchen Harfe.
Pasculli trieb seine Ambitionen als Lehrer voran und bereicherte das Musikleben in seiner Heimat. Er leitete ein städtisches Bläser-Musikkorps und hielt die Mitglieder an, Streichinstrumente zu lernen, sodass aus der "Banda“ ein veritables Sinfonieorchester wurde, das – sicher zum ersten Mal in Sizilien – Musik von Wagner, Sibelius, Grieg und Debussy spielte. Die letzten Jahre Pascullis waren von den Auswirkungen des Ersten Weltkrieges überschattet. Er starb am 23. Februar 1924 – kurz nachdem er die Nachricht erhalten hatte, dass sein jüngster, im Krieg vermisster Sohn gefallen war. Was Pasculli mit der Oboe anstellte, war bis dahin schlichtweg unmöglich, unerhört, ja: unvorstellbar. Natürlich hat es in der Geschichte immer wieder Oboenkonzerte und andere Solowerke gegeben – von Albinoni, Vivaldi, Händel, Telemann und Mozart bis zur klavierbegleiteten Kammermusik Robert Schumanns. Trotzdem wurde das zart näselnde Melodieinstrument die traditionelle Zuständigkeit für lang gezogene Bögen und lyrische Themen nie los. Die Oboe sei ein „Instrument mehr der Kantilene als der virtuosen Figuration“, heißt es lapidar im renommierten Brockhaus-Riemann-Musiklexikon. Der Autor dieser Zeile hat nie Pasculli gehört! In dessen Werken kann das Holzblasinstrument plötzlich nicht nur ein, sondern alle Register ziehen: von melancholischer Träumerei bis zu atemberaubender Schnelligkeit, von süßer Sanglichkeit bis zu sprudelnder, überschäumender und so extremer Rasanz, dass die Oboe manchmal zweistimmig zu spielen scheint.
Wie Franz Liszt und viele andere Solisten der Zeit entwickelte Pasculli die virtuosen Möglichkeiten des Soloinstruments auf der Grundlage damals geläufigen musikalischen Materials, dessen Qualität in seinen Eerken in ganz neuem Licht erscheint. Es sind die im damaligen Italien allbekannten Melodien aus den Opern Gaetano Donizettis (Poliuto) oder Giuseppe Verdis (Il trovatore, I vespri siciliani, Un ballo in maschera, La traviata und Rigoletto). Das dramaturgische Prinzip dieser „Fantasien“ oder „Concerti“ ist wirkungsvoll: Wie in einer großen Gesangsszene beginnen die Stücke meist mit einer repräsentativen, oft langsamen Einleitung und steigern sich in mehreren Blöcken in Richtung eines höchst bravourösen Finalteils. Dabei spielt die Solo-Oboe viele Rollen: Sie vermittelt den Schmelz der großartigen Melodien, „kommentiert“ sie aber auch im Dialog mit der Begleitung, sie kopiert die Kantilenen nicht einfach, sondern sie variiert, verändert und „übersetzt“. Wer Pasculli spielen will, muss ein zweiter Pasculli werden: Der Oboist Christoph Hartmann, 1965 in Landsberg am Lech geboren, studierte in Augsburg bei Georg Fischer und in München bei Günther Passin. 1991 wurde er Oboist bei den Stuttgarter, 1992 bei den Berliner Philharmonikern, und als das Orchester vor etwa zehn Jahren eine Konzertreise nach Sizilien unternahm, nutzte Hartmann seine Chance, Meister Pasculli eventuell das ein oder andere Geheimnis zu entreißen. Er forschte nach, ob die Bibliothek des Konservatoriums in Sizilien nicht einige Raritäten barg. Und siehe da: Hartmann fand eine Reihe von Originalhandschriften. Ihm kamen nicht nur die bis dahin lediglich mit Klavierbegleitung bekannte Fantasie über Donizettis Poliuto und das Concerto über I vespri siciliani inklusive Orchesterpartitur in die Hände, sondern auch eine Reihe weiterer, bis dahin unbekannter Werke – immerhin mit Klavierstimme.
Dass wir bei allen Werken auf dieser CD die Solo-Oboe, wie von Pasculli zweifellos gewünscht, im Glanz des großen Orchesters erleben können, ist Wolfgang Renz zu verdanken. Er ist Mitglied der Augsburger Philharmoniker, versierter Arrangeur und – ebenfalls Oboist. Er saß bei dieser Aufnahme, die ja mit „seinem Orchester“ unter der Leitung von Rudolf Piehlmayer entstand, übrigens nicht zwischen seinen Kollegen, sondern er überwachte die Perfektion seiner stilsicheren Instrumentationen im Aufnahmestudio. Für Christoph Hartmann war das Erlebnis, an der Wiederauferstehung des „Paganinis der Oboe“ unter solchen Idealbedingungen beteiligt zu sein, wie er selbst sagt, „ein Traum“. Und dass das alles schwierig ist – keine Frage. Aber bewundern wir Maria Callas als Norma, weil sie ihrer Gurgel so technisch perfekte Tongirlanden entlockt? Nein – wir vergessen alle Technik und sind ergriffen von der Kunst, wie sie die Hauptfigur verkörpert. „Und die Welt hebt an zu singen, triffst Du nur das Zauberwort“, formulierte Joseph von Eichendorff den Grundgedanken des Zeitalters der Romantik, das ja auch die Epoche der Virtuosen war. Wer es nicht trifft, dem hilft auch alle Technik nichts!
© Oliver Buslau, 2006


Aufgenommen: 31.05.2006 – 02.07.2006 in Augsburg, Kongresshalle.
Eine Co-Produktion mit dem Bayerischen Rundfunk.
EMI
Best.-Nr.: CD 3 79944 2
Veröffentlichungsdatum: 19. Januar 2007

Weitere Informationen: www.emiclassics.de.




Bild
 Nancy, OpĂ©ra National de Lorraine
© Ville de Nancy



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