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  Rasumowsky Quartett 
Dmitri Shostakovich: Complete String Quartets

Rasumowksy-Quartett


Unter den wenigen Gesamteinspielungen der Streichquartette von Dmitri Schostakowitsch hat diese beste Voraussetzungen, einen Sonderstatus einzunehmen: Das Saarbrücker Rasumowsky-Quartett greift hier auf eine Notenausgabe zurück, die in vielen Details Korrekturen gegenüber der traditionellen Ausgabe aufweist. Weitere Korrekturen steuerte Maxim Schostakowitsch, Sohn des Komponisten, aus Quellen erster Hand bei. Das Ergebnis wird von Maxim Schostakowitsch mit reichen Vorschusslorbeeren bedacht: „Die neue Aufnahme aller Quartette von Dmitri Schostakowitsch des Rasumowsky-Quartetts haben bei mir den allertiefsten Eindruck hinterlassen. Das schöpferisch sinnliche Eindringen in die Welt der Musik Schostakowitschs, die individuelle Meisterschaft und das Talent jedes Mitglieds dieses vortrefflichen Ensembles erlauben es, diese Aufnahme zu den besten Interpretationen der Musik meines Vaters überhaupt zu zählen.“


RĂĽckzug ins Private oder universelle Aussagen?
Zu den Streichquartetten von Dmitri Schostakowitsch (1906–1975)


Eindeutig scheinen Schostakowitschs Streichquartette einen Rückzug ins Private zu bedeuten, wie es schon das Genre selbst suggeriert. Gerade die fast schon symbolträchtige, überdeutliche Teilung seines Hauptschaffens in fünfzehn „offizielle“ Sinfonien und fünfzehn „private“ Streichquartette spricht hierfür. Zudem fand Schostakowitsch 1938 in schwieriger Zeit erstmals zu dieser Gattung (bei den Zwei Stücken für Streichquartett op. 36 von 1931 handelt es sich um Bearbeitungen): Zwei Jahre vor Vollendung des 1. Streichquartetts nämlich titelte am 28. Januar 1936 das sowjetische Parteiorgan Prawda in fetten Lettern „Chaos statt Musik“ und hatte nicht nur Schostakowitschs Oper Lady Macbeth, sondern die Durchsetzung des Sozialtistischen Realismus im Visier.

Wie durch ein Wunder überlebte Schostakowitsch die Stalinsche Kulturrevolution und den Großen Terror jener Jahre. Dass Schostakowitsch in diesem Klima zum Streichquartett fand, ist vor dem Hintergrund, dass die offizielle Kunstdoktrin große massenwirksame Gattungen und eindeutige Vokal-, Bühnen- und Programmmusik verlangte, bemerkenswert. Im Zuge der Zweiten Kulturkampagne 1946/48 sollten Kulturfunktionäre auch tatsächlich misstrauisch von „Klügeleien im engen Bereich abgekapselter Kammermusik“ sprechen. Doch ganz so eindeutig ist es nicht: Schon die symbolträchtige Einteilung in fünfzehn Sinfonien und fünfzehn Streichquartette wird dadurch relativiert, dass Schostakowitsch mindestens noch ein sechzehntes Quartett komponieren wollte (sein Freund und Biograf Krzysztof Meyer hat dies nachgeholt).

Vor allem jedoch hat schon der Musikologe Michael Gervink 1998 aufgezeigt, inwieweit sich bei Schostakowitsch die Genregrenzen verwischen und bestimmte Sprach- und Gestaltungsmittel nicht rein kammermusikalisch interpretierbar sind. Gerade hier kann sich Schostakowitsch auf Tradition berufen, wenn man etwa an den orchestralen Kammer-musikklang von Brahms, Tschaikowskys Requiem- Klaviertrio op. 50 oder an Beethovens – wie auch immer gemeinten – programmatischen Schwer gefassten Entschluss aus dem Streichquartett op. 135 denkt: Schon diese wenigen Beispiele entsprechen nicht dem gängigen Verständnis von introvertiert-privater und absoluter Kammermusik. Und so lassen sich in Schostakowitschs Streichquartetten Charaktere, musikalische Sinneinheiten und Topoi nachweisen, die tatsächlich sein gesamtes Schaffen über Genregrenzen hinaus prägen.

So findet Schostakowitsch nach den Ereignissen von 1936 vermehrt zu Instrumentalrezitativen, die der Musikwissenschaftler Constantin Floros auch als „redende Partien“ bezeichnet: Neben dem 4. Satz der 9. Sinfonie zählen der 2. Satz des 2. Streichquartetts sowie in freier Gestaltung der 3. Satz des 11. Streichquartetts zu den zentralen Beispielen. Höhepunkte von Passacaglias – also Variationsfolgen über ostinatem Bass, auf die Schostakowitsch im Kontext von Trauer und Klage zurückgreift – stellen wiederum nicht nur das Lento des 6. Streichquartetts, das Adagio des 10. Streichquartetts sowie in freier Gestaltung der 2. Satz des 14. Streichquartetts dar, sondern ebenso Beispiele aus der 8. Sinfonie oder dem 1. Violinkonzert.

Auch die zahlreichen Fugen, Walzer, Choräle oder Trauermärsche beschränken sich keineswegs auf die Kammermusik. Zudem bemerkt die ostdeutsche Forscherin Sigrid Neef zu Recht im filigranen Obertonspiel im 2. Satz des 5. Streichquartetts eine Transposition des Celestaklanges (ein Glockenspiel mit Tastatur), der in Orchesterwerken Schostakowitschs nach dem Vorbild Mahlers die Ewigkeit symbolisiert. Vollendete Gesten von Crescendo-Schreien Schostakowitsch Mitte der 1930er Jahre aus mehrfachem Piano ins mehrfache Forte finden sich nicht nur am Ende des 13. und zu Beginn des 2. Satzes des 15. Streichquartetts, sondern ebenso als Schlussgestaltung der 14. Sinfonie. Das d-s(es)-c-h-Motiv – die Initialen Schostakowitschs in deutscher Schreibweise in Töne gesetzt – bestimmt gleichermaßen das Geschehen des 8. Streichquartetts und der 10. Sinfonie. Und der Topos des wüsten Stampfens, wie er den 3. Satz des 3. und den 2. Satz des 10. Streichquartetts prägt, entlarvt auch in den Sinfonien Nr. 8 und 10 die Fratze roher Gewalt.

Wenn sich ins Stampfen mitunter ein negativ besetzter russischer Volkston mischt, so leidet der 3. Satz des 4. Streichquartetts im positiven jüdischen Volkston – auch dies ein allgemeines Gestaltungsmittel in Schostakowitschs Schaffen nach 1936, das zudem mit der antijüdischen sowjetischen Politik nicht zu vereinbaren ist: Es nimmt nicht wunder, dass das 4. Streichquartett erst nach dem Tode Stalins uraufgeführt wurde. Doch so richtig all diese gattungsübergreifenden Beobachtungen auch sein mögen, ist wiederum der privat-experimentelle Charakter des Spätwerks kaum zu leugnen – tonangebend in Schostakowitschs Spätwerk ist quantitativ wie qualitativ die Kammermusik. Hier entdeckt Schostakowitsch für sich die Zwölftonmusik (so im 12. Streichquartett) und reduziert – ideell zeitgleichen Tendenzen bei Luigi Nono verwandt – ungewohnt unpathetisch das Material bis zum Nichts. Im 13. Streichquartett lässt Schostakowitsch die Musiker sogar mit dem Bogenholz auf den Korpus der Instrumente schlagen.

Sind nun also Schostakowitschs Streichquartette als Rückzug ins Private oder Ausdruck des Universellen zu verstehen? Wie so häufig gibt es bei Schostakowitsch hierauf keine eindeutige Antwort. Es ist stets eine Frage des Standpunkts: Schostakowitschs viel beschworene Doppeldeutigkeit kommt auch hier zum Tragen. Hätte er eindeutige Antworten gegeben, hätte er zumindest den Stalinismus physisch und künstlerisch wohl nicht überlebt. Und so charakterisiert Sigrid Neef den Zyklus der fünfzehn Streichquartette am treffendsten, wenn sie von „Tagebuch innerer Entwicklung“ spricht. Denn Tagebücher sind persönliche Äußerungen, die auch auf die Umwelt reagieren und Privates im Universellen und Universelles im Privaten dokumentieren – eine Suche nach Wahrheit.

Marco Frei

Der Autor ist Musikjournalist und hat über Schostakowitsch promoviert. Sein beim Saarbrücker Pfau-Verlag verlegtes Buch „Chaos statt Musik“. Dmitri Schostakowitsch, die Prawda-Kampagne von 1936 bis 1938 und der Sozialistische Realismus ist seit Juni 2006 erhältlich.


OEHMS Classics
Best.-Nr. OC 562

Weitere Informationen: www.oehmsclassics.de.




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