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Moritzbastei |
Leipzig, am 06.06.2008 |
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© Detlev Endruhn
© Detlev Endruhn
© Detlev Endruhn |
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"Die Choreographie ist immer eine neue Suche in meiner Seele."
Am 05. und 06. Juni 2008 fand auf dem Dach der Moritzbastei ein ganz besonderes Tanzevent statt. Die Company „ InTanziv“ tanzte in einer Choreographie mit dem Titel „Und So Weiter…“ auf die Musik von Vivaldi’s Vier Jahreszeiten. Ein Interview mit dem Choreographen Martin Chaix und dem Künstlerischen Leiter Rémy Fichet über das aussergewöhnliche Projekt.
Herr Chaix, Ihr Weg als professionell klassischer Tänzer begann an der Ballettschule der Pariser Oper, wo Sie sieben Jahre eine harte Ausbildung absolvierten. Das setzt ein sehr starkes Durchhaltevermögen und ein tiefes Sinnverständnis voraus. Was bedeutet für ihre Seele der klassische Tanz?
Martin Chaix: Der klassische Tanz war für mich, wie die erste Liebe. In der Ballettschule gab es dann natürlich die „art de diszipline“ und es war sehr schwer ganz am Anfang, als ich jung war die Selbstdisziplin hinzubekommen, doch andererseits hat sie mir auch einen ganz neuen Weg zum Denken eröffnet.
Gab es einen konkreten Moment, wo Sie sich entschieden haben, auch selbst Choreographien zu entwickeln, oder erwuchs der Wunsch innerhalb des Prozesses einer fliessenden Entwicklung?
Es gab für mich eigentlich keinen konkreten Moment, wo ich gesagt habe, dass ich jetzt choreographieren muss, sondern ich spürte bereits als kleines Kind tief in mir dieses Gefühl. Es hat nur eine Weile gedauert, bis der Tag kam, als ich mir sagte, Es ist Schluss, jetzt probiere ich es mal. Die Choreographie bedeutet für mich, eine neue Entwicklung als Mensch zu erfahren, denn es ist immer eine neue Suche in meiner Seele. Ich glaube, dass ich mich ohne sie als Mensch nicht mehr entwickeln kann.
Verbinden Sie in Ihren Choreographien den klassischen Tanz auch mit Elementen aus anderen Stilrichtungen?
Der klassische Tanz ist natürlich ein wichtiger Teil meiner Ausbildung gewesen, doch die erste Inspiration in mir selbst bildet auch die Grundlage für meine Choreographien. Mein Wunsch ist es nicht klassisch zu choreographieren, sondern das Erbe meiner langen Berufserfahrung zu einem ganz eigenen neuen Stil zu transformieren. Nichts ist kreiert, nicht ist verloren, alles wird umgewandelt. Dabei inspirieren mich jede Art von Kunstformen. Von Bildern bis hin zu ganz unterschiedlichen Stilrichtungen der Musik, sei es Klassik, Modern, Pop oder Jazz.
Im Jahr 2007 erhielten Sie den Auftrag, eine Choreographie für das Leipziger Ballett zu kreieren. Was hat Sie fasziniert, den Auftrag in Leipzig anzunehmen und Paris zu verlasssen?
Als ich den Auftrag erhalten habe, war es für mich eine Überraschung und gleichzeitig eine grosse Freude an einem öffentlichen Abend des Leipziger Balletts in der Oper Leipzig teilzunehmen. Es ist nicht wichtig, ob man die Hauptrolle oder in der letzten Reihe tanzt, denn als Künstler muss man sowieso immer alles geben. Auch gibt es für mich keinen Unterschied zwischen einem grossem Publikum und nur sehr wenigen Menschen, die zuschauen, denn jeder soll die gleiche Vorstellung sehen können. So mache ich auch in meiner Arbeit keinen Unterschied zwischen einem grossen offiziellen Abend einer Ballettcompany oder einem kleinen Projekt. Für mich bleibt der selbe Stress, aber auch die gleiche Lust und ich gebe als Choreograph immer alles, was ich habe. Natürlich gibt es einen kommerziellen Unterschied, jedoch keinen Künstlerischen.
Nun arbeiten Sie nicht nur im Opernhaus, sondern gründeten zusammen mit Rémy Fichet die Company „InTanziv“. Welche künstlerische Ziel Intention möchte InTanziv erreichen?
Nun muss ich sagen, dass es von Anfang an ziemlich egoistisch war. Wir hatten beide grosse Lust darauf, neue Wege zu finden. Rémy im organisatorischen Bereich und ich in der Choreographie. Wir sind beide noch jung und jeder von uns möchte sich in seiner Richtung weiter entwickeln, sodass wir uns mit InTanziv die Möglichkeit dazu geben wollten. Hinzu kommt, dass Rémy und ich uns künstlerisch sehr gut verstehen und ein weiterer Grund dafür InTanziv zu gründen, war, dass wir von Leipzig fasziniert sind, insbesondere auch von der Architektur. Es gibt hier so viele verschiedene Gebäude, die uns sehr inspirieren.
Für die Tanzabende mit dem Titel “Und So Weiter…“ haben Sie sich bewusst für die Moritzbastei entschieden. Welche Ausstrahlung besitzt dieser Ort, dass Sie ihn als perfekten Schauplatz für die Inszenierung erwählt haben?
Wir sind extrem froh, dass einer unserer ersten Vorstellungen in der Moritzbastei stattfinden. Besonders ist, dass sie Open Air aufgeführt werden, denn der Tanz sollte an einem ungewöhnlichen Ort gezeigt werden. In die Moritzbastei kommt gewöhnlich nicht das Stammpublikum der Oper, sodass auch eine ganz andere Zielgruppe für dem Tanz erreicht werden kann. Die Leute kommen und denken, dass so etwas auch interressant ist und möchten vielleicht mehr sehen. Spannend ist es auch für die Tänzer, auf einer anderen Bühne zu tanzen, da sie sich anders präsentieren müssen. Ganz besonders ist die Moritzbastei auf Grund ihrer ausgefallenen Architektur. Ich komme öfters auch mal allein, um einen Kaffe zu trinken und jedes Mal fühle ich mich wie in einer anderen Welt, in welcher ich komplett frei bin, um mich inspirieren zu lassen. Die Räume tragen ein sehr sehr starke Persönlichkeit in sich. Speziell für „Und so Weiter“ war ihm gleich klar, dass auf dem Dach eine Choreographie zu Vivaldis Vier Jahreszeiten entstehen soll. Schön ist es auch, dass man überall das Leben spürt, da gleich unten auf der Terrasse Leute zufällig sitzen, lachen und quatschen. Das alles stört die Vorstellung überhaupt nicht, da diese Elemente des Lebens in die Choreographie mit hineinfliessen.
„Und So Weiter“ beschreibt auf die Musik von Vivaldis vier Jahreszeiten die Entwicklung der Menschheitsgeschichte, in welcher jeder Jahreszeit eine Farbe und eine Periode zugeordnet wird. Welche Symbolik besitzt jede Farbe?
Die Symbolkraft der Farben ist für mich vor Allem eine Faszination, bestehend aus dem Erbe der Urgeschichte der Menschen. Zum Einen ist da das moralische Erbe und zum Anderen das Architektonische, wie zum Beispiel in der Moritzbastei. All die Menschen, welche zu Beginn das Gebäude konstruiert haben und all die, welche seit dem darin arbeiten hinterlassen Spuren. In „Und So Weiter“ symbolisieren die Farben genau diese Spuren der Menschen. Um es etwas genauer zu erklären, beginnt alles mit dem Frühling und der Farbe Weiss. Weiss steht für die Klarheit und für eine pure Seele, so rein und ehrlich, wie Tiere es sind. Der Sommer wird mit gelb gezeichnet und beschreibt die grosse religiöse Phase in Westeuropa. Gelb ist auch Gold und es ist für mich fast schockierend in den europäischen Kirchen überall dieses Gold, diese Opulenz zu sehen, weil sie damit zeigt, dass sie die Autorität der Macht besitzt. Die Kirche , so sehe ich es, verhält sich gegen den Gedanken von Religion, denn sie bedeutet zu beten und einfach zu bleiben. Die Freiheit und die Entwicklung von Demokratie und Republik entspricht dem Herbst und der Farbe Rot, weil man das Erlangen von Freiheit oft mit Kampf und Blut verbindet, wie z:B. bei der franz. Revolution in Frankreich. Schwarz ist der Winter und symbolisiert den Kapitalismus. Ich denke, dass das wirtschaftliche System viel mehr Einfluss ausübt, als jegliche politische Richtung. Es gibt uns zwar die Freiheit, alle Dinge kaufen zu können, doch zeigt es uns in Form von Werbung, Fernsehen, Radio usw, wie wir denken sollen. Schwarz ist auch das Öl, das Geld oder der Ink, womit man die Zahlen der internationalen Börsen schreibt.
Wenn man diese Farben miteinander mischt entsteht die Farbe der Zukunft. Können Sie Ihre Vision von der Zukunft beschreiben?
Also leider ist für mich die Farbe der Zukunft auch ziemlich dunkel und ich habe überhaupt keine optimistische Vision. Obwohl ich ungern an die Zukunft denke und viel lieber im Jetzt lebe, muss ich es doch tun. Ich wünsche mir, dass die Menschen in der Welt ein besseres Leben bekommen, doch leider zeigen uns die Zeichen, dass wir in eine düstere Phase übergehen werden und es besteht die grosse Gefahr, dass die Menschheit nicht weiter existieren kann. Ein Grund dafür ist natürlich das Umweltproblem und wenn wir so weiter leben, wird es nicht besser werden. Eine andere Ursache liegt darin, dass wir bald kein Öl mehr haben werden, was schon viele arme Länder spüren können, da sie sich in grossen Krisen befinden. Das ist auch etwas, woran die Menschen sofort etwas ändern müssten, denn es ist auch schon fast zu spät.
Nun können sich natürlich auch Ideen und Erfahrungen zu immer neuen Projekten mischen. Wie leuchtet die Zukunftsfarbe von InTanziv? Gibt es schon konkrete Projekte?
Rémy Fichet: Wir sind im Gespräch für Projekte in der nächsten Spielzeit, doch ganz konkret ist es noch nicht, weil nichts unterschrieben ist, aber die Vorstellungen in der Moritzbastei waren für uns ein toller Anfang. Sie haben ziemlich viele Türen geöffnet und wir sind sehr froh darüber. Was die Ideen betrifft, so haben wir immer viele, viele davon und können vielleicht nur die Hälfe von ihnen umsetzen. Manchmal befinden wir uns wie in einem Dilirium, dann gibt es ein kleines Projekt, welches wir in unseren Köpfen immer weiter ausbauen. Wir träumen natürlich auch. Wir fangen klein an und vielleicht werden wir grösser. So, was InTanziv betrifft habe ich eine optimistische Zukunftsvision. |
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Bonn, Theater |
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© Thilo Beu |
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